Diskurs zwischen Dennis Przystow und mir. Auf ständiges Selbst sein und die Frage, wie Arbeit heute aussieht oder aussehen kann, stellt sich mir die ergänzende Frage, wie eigentlich unsere Bildung aussieht.
Eine stark gekürzte Einschätzung.
Seit ein paar Jahren bin ich als Dozentin tätig. Fast vier. Davor war ich Jugendtrainerin, Nachhilfelehrerin, Schülervertreterin. Immer wieder bin ich in Lehr-und Lernkontexten unterwegs und immer häufiger stelle ich mir die Frage: Was passiert da eigentlich, in unserer Bildung, mit unserem Bildungswesen? Wie bilden wir unseren Nachwuchs aus, was heißt das für unsere Gesellschaft in 10, 20 Jahren? Wo soll das eigentlich alles hinführen?
Um meine Schlussfolgerung vorweg zu nehmen: Ich bin der Überzeugung, dass wir Wissen nicht richtig vermitteln und dass wir auf die falschen Komponenten setzen. Damit ich nicht missverstanden werde: Fachwissen ist unumgänglich! Zu wissen, wie man richtig zitiert hilfreich, sauberes Formulieren und wissenschaftliche forschen eine erlernbare Kunst. Ich zweifle nicht an den Gegenständen an sich. Aber ich wehre mich dagegen, dass Wissen nicht mit Spaß und vor allem mit persönlichem Erfolg und noch vor allemner mit wirtschaftlicher Einsetzbarkeit zu tun haben darf, kann. Für mich ist die Möglichkeit, das zu machen, was einem liegt, was wir alle unbedingt irgendwo in uns drin haben, der Drang zur Verwirklichung, das bekommt von mir die oberste Priorität. Dass das nicht immer klar ist, verstehe ich nur allzu gut. Dafür werden wir seit dem Kindergarten, spätestens jedoch seit der Grundschule dazu erzogen, unsere Eigenarten in die Masse anzupassen. Noch mal: Keine Kritik an den einzelnen ausführenden Personen. Ich zweifle nicht an fähigen, einfühlsamen PädagogInnen. Ganz im Gegenteil. Ich bezweifle das System der Langeweile. Der Konformität. Der Egalität. Wir sind nicht alle gleich. Grundgesetzlich, ja! Aber unsere Fähigkeiten unterscheiden sich von klein auf.
Wenn wir also in einer aufgeklärten Westwelt leben, in der uns alle Türen und Tore offen stehen, dann frage ich mich, warum ich in meinen Seminaren an der Uni noch immer zu hören bekomme: Ich studiere auf Lehramt, weil ich sonst keine Kinder finanzieren kann. Weil ich jetzt schon weiß, welche Rente ich bekommen werde, ich denke, ich gehe in eine Anstellung, bei uns bekommt man doch eh keinen guten Job.
Mich machen diese Äußerungen nachdenklich und traurig zugleich. Ohne wirklich mit dem Bildungswesen theoretisch mich befasst zu haben, erfahre ich doch, was mit jungen Menschen, voll von Druck und Erschöpfung und Existenzangst, geschieht. Was erwarten wir denn eigentlich?
Natürlich gibt es die Ausnahmen. Die, die alles hinbekommen. „Heißdüsen“ hat mein ehemaliger Mitbewohner diese Leute genannt. Dass sind, mit voller Anerkennung für diese Lebensdisziplin, diejenigen, die schon mit Studienabschluss auf Stellenausschreibungen passen, in denen mind. 9 Monate Volontariat, 3 Jahre Beurfserfahrung in der entsprechenden Branche, kreativ, außergewöhnlich, Organisationstalent, bereit zu Überstunden, überdurchschnittlich engagiert, mit Willen zur Führungskraft steht. Ich war das nicht und ich bin mir sehr sicher, sehr viele Uni-AbgängerInnen und AusbildungsabsolventInnen sind das auch nicht. Und ich finde: das müssen sie auch nicht sein. Nein, sie dürfen es nicht sein! Junge Menschen sollten in keine stellverschraubte Schublade der apriori-Perfektion passen, sie sollten sich weiter entwickeln dürfen. Sie sollten „Fehler“ machen. Jeden Tag. Um zu erleben: es geht weiter. Ich gehe weiter.
Wenn ich ein Seminar halte, dann ist mir nicht nur wichtig, dass die Studierenden die Fachbegriffe beherrschen und mir zeigen, dass sie etwas gelernt haben. Mir ist vor allem wichtig, dass sie etwas über sich gelernt haben und dass sie im Austausch festgestellt haben: da geht noch mehr. Da geht noch mehr! Mut und Selbstbewusstsein, das sind für mich die wichtigsten Güter. Das Wissen kommt dann, ich übertreibe, wie von selbst. Aber ich bin überzeugt davon, dass der Wille zu Lernen, und zwar oberflächlich wie auch tief wissenschaftlich, dann von selbst kommt, wenn ich das richtige Thema für mich gefunden habe. Ich sage (noch) nicht: schafft die Unis ab! Ich sage aber: Gebt Studierenden, SchülerInnen, DozentInnen die zusätzliche Möglichkeit, die Neugier auf ihr Fach zu erhalten oder neu zu erwecken und selbst zu erfahren, wie sie ihr Fachwissen individuell einsetzen können, um erfolgreich zu sein.Gelangweilte Menschen sind der Stillstand eines jeden Systems. Politische Revolution mit gelangweilten Menschen? Geht nicht. Gibts nicht.
Was für jede Arbeit gelten sollte, setzt also schon früher an: Auch unsere Bildung und wie wir mit ihr umgehen zeigt uns, wo wir eigentlich gerade stehen. Wir sind eine Dienstleistungsgesellschaft. Aber wie kann ich mich selbst anerkennen, wenn die Leistung des Dienstes, des Service so entwürdigt wird, wenn der Titel mehr wert ist als das tatsächliche Handeln? Wo kommen wir da eigentlich hin?